Discussion - Lautverschiebung

Lautverschiebung
Posted by: Heinrich Tischner on March 6, 2013, 22:25
Eine Anekdote zum Thema Lautverschiebung: Auf unsrer Armenienreise ging es auch zu einer Kirchenanlage auf einem Berg, die nur zu Fuß zu erreichen ist. Da mir Bergsteigen schwer fällt, blieb ich unten in der Nähe des Busses und sah mir einen Friedhof an. Auf dem Parkplatz sprach mich ein Armenier an: "Kʰɛɣt?" Ich wusste zwar, was er meinte, tat aber, als würde ich ihn nicht verstehen: Er meinte "Geld" und sprach das deutsche Wort, das er wohl irgendwo gelesen hatte, armenisch aus. Für mich dabei erstaunlich: Im Neuarmenischen ist g > kʰ und l > ɣ geworden. Er wusste wohl, dass die lateinischen Buchstaben den und den armenischen entsprechen und reimte sich selbst zusammen, wie G+E+L+D gesprochen werden müsste. ähnlich machen wir es ja auch mit fremden Wörtern.
 
Ich habe das deswegen so ausführlich erzählt, weil es bei unserm gemeinsamen Anliegen ja auch um das Nebeneinander von Schriftbild und den gesprochenen Wörtern geht. Da entsteht für den Sprachvergleich folgendes Dilemma:
 
1. Die alten Schriftsprachen haben eine konservative Orthographie und eine mehr oder weniger stark abweichende Aussprache, so ganz deutlich im Englischen, aber auch im Französischen, Irischen, Deutschen, Griechischen, Russischen, Armenischen, Hebräischen, Arabischen usw.
 
2. Jüngere Schriftsprachen haben eine Orthographie, die mehr der gesprochenen Sprache entspricht, wie die der indigenen Sprachen anderer Erdteile. Dazu kommen die echten Schreibreformen wie im Türkischen (arabisch > lateinisch), in den Ostseesprachen, Italienischen, Spanischen, auch im Albanischen, die mehr aussprachegerecht sind.
 
Bei der Verschriftlichung oder Reformen macht man's manchmal zu genau wie im Arabischen, das nicht nur ähnliche Buchstaben für deutlich unterscheidbare Laute durch Zusatzzeichen unterscheidet, wie ب ت, sondern auch Aussprachevarianten desselben Lautes (wie ع غ,wofür das Hbr. nur ein Zeichen hat). Damit werden diese Varianten verfestigt. Im Französischen steht ce für se und co für ko, im Deutschen ach für [ax] und ich für [iç], ohne dass wir eine weitere Unterscheidung für nötig halten (stellungsbedingte Varianten).
Ihre etwas "oberflächlich" aussehende Methode der Vereinfachung (d = t) ist wohl das Einzige, was man überhaupt tun kann. Man muss ja nicht nur den bekannten Sprachen gerecht werden, sondern auch den unbekannten. Bei frz. [bo] weiß man, dass die weibliche Form [bɛl] heißt, das [o] also aus [eł] entstanden ist, ähnlich bei russ. [stou / stul] = стол / стyль und dem oben erwähnten "armenischen" kʰɛɣt. Aber woher sollen wir das bei einem exotischen "bo" oder "keght" geschriebenen Wort wissen? Ganz schwierig sind die kombinierten Zeichen und Hilfszeichen: Ung. Magyar [mɔdjɔr]: Ist gy eine Art d, g oder j? Das h in deutsch "gehen" ist nur Dehnungszeichen, in "sehen" Rest eines Konsonanten. Nur ein paar Beispiele.
Posted by: Vincent on March 7, 2013, 21:52
Das Thema Vereinfachung der Modelierung der Lautverschiebung haben Sie richtig erkannt. Es geht nur mit einer radikalen Vereinfachung, auch wenn einiges auf der Strecke bleibt - wie zB. das ungarische "gy", arabische "‏ﻉ‎", französisch "ll", usw. Die Vereinfachung (bzw. Gruppierung der Konsonanten in verwanten Lauten) bringt vorteile für Vergleiche von entfernten Verwandtschaften, weil in dem Fall kann z.B. ein "T" sowieso sehr selten 3000 Jahre überleben, sondern "mutiert" ohnedies zu D, S, CH, usw. Daher ist es sinnvoll, D, T, S in einem "Sack" zu nehmen, detto B, P, F, etc. Nachteilig ist diese Vereinfachung bei Vergleichen innerhalb von sehr verwandten Sprachen - da wäre eine Präsisierung von Vorteil und würde sicher helfen z.B. Lateinisch an der richtigen Stelle innerhalb des romanischen Zweigs zu plazieren.
 
Ich hatte eine ähnliche Diskussion mit einem Kollegen. Ich bin dann auf die Idee gekommen, ein noch extremeres Modell zu testen. Hier einfach die Diskussion mit ihm:
 
Abschließend zu unserer Diskussion zum Thema "Sound Change" habe ich nun die Daten probeweise so konvertiert: die lexikalischen Morphemen sind nicht mehr in Konsonanten kodiert, sondern in Zahlen. Die Zahlen entsprechen "Clustern von Konsonanten", die zusammenpassen:
 
Cluster 1: D, T, TH, C, S, Z, ZH, SH
Cluster 2: G, K, H, KH
Cluster 3: B, P, F
Cluster 4: V, W
Cluster 5: L, R
Cluster 6: Y
Cluster 7: M
Cluster 8: N
 
Das heißt, ich gehe hier noch viel "extremer" vor als bei unserer Diskussion zu "S<->T" & "C<->T". In dem Fall erreicht der Vergleich Deutsch - Englisch nun 27 (früher 38) und Deutsch - Niederländisch nun 11 (früher 20).
 
Der befürchtete "statistische Lärm" bleibt auch bei sehr entfernten Verwandschaften weitgehend gleich wie vorher... Das ist was mich sehr überrascht.... Ich habe im Baum den "statistischen Lärm" bei 70 (35 in Skalla) eingestellt - d.h. alle Verbindungen links davon bzw. im roten Bereich sind als nicht unbedingt valide zu betrachten.
 
Das Ergebnis (Baum) gibt es in diesem Forum auf English: siehe hier
 
...Mit dieser Methode gibt es natürlich den Vorteil, dass solche Hypothesen innerhalb von Minuten getestet werden können, weil im Programm das Datenmaterial völlig vom Programm selbst abgekoppelt ist. D.h. jede weitere Hypothese zum Thema Lautverschiebung kann getestet werden (solange sie die Konsonanten betreffen)
 
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